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pv magazine highlight top innovation: Vom Flachdach zum „Kraftdach“
„Wir sind jetzt in einem neuen Zeitalter angelangt, wo man die Gebäudehülle und das Energiepotenzial von Anfang an in die Architekturplanung mit einbeziehen muss“, sagte Arnold Berens, Geschäftsführer von Kraftwerk Solutions aus Siegburg im Solar-Log-Expertentalk im vergangenen Herbst. In jedem Industriegebiet zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen gibt es Gewerbehallen, „1.000 Quadratmeter groß, mit rund 380 Quadratemetern Bürogebäuden dabei“. Für solche Gebäude haben sein Unternehmen und Viessmann eine Lösung entwickelt, mit denen sie den Wärmebedarf ganz oder zu einem großen Teil regenerativ decken können.
Im Prinzip auch von anderen umsetzbar, sieht Berens eine der größten Hürden darin, dass alle Beteiligten umdenken müssen, auch die Planer, denen oft die Zeit dafür fehlt. Noch sei der Effizienzansatz in den Köpfen vorherrschend. Dabei funktioniere so ein Kraftdach ganz einfach. Und wenn man damit genug Energie lokal einsammele, müsse man ein Gebäude nicht auf totale Effizienz trimmen.
Was auch immer „einfach“ bedeutet, ein Kraftdach ist typischerweise ein Flachdach mit Photovoltaik-Modulen. Unter den Modulen werden in einigen Zentimetern Abstand zusätzlich Luftabsorber installiert, die man sich vorstellen kann wie Gitter aus flüssigkeitsgefüllten Röhrchen. Mit diesen Absorbern kann Umweltwärme für eine Wärmepumpe aufgenommen werden. Um das Gesamtkonzept zu verstehen, darf man nicht nur auf das Dach, sondern muss auch unter die Erde schauen. Dort befindet sich ein Eisspeicher. Das ist ein großer Wassertank, in dem ebenfalls Absorber verlegt sind und der als zweite Wärmequelle für die Sole-Wasser-Wärmepumpe dient. In dieser Konstellation aus Photovoltaik, Luftabsorbern, Wärmepumpe und Eisspeicher ist das Kraftdach in der Lage, ein Gebäude mit Strom- und Wärme zu versorgen und auch zu kühlen. Eingesetzt wird das System vor allem für Lager- und Logistikhallen, aber auch Büros und andere Gewerbeflächen mit großen Dächern und Heiz- und Kühlbedarf.
Welches Problem löst das Kraftdach?
Das Gesamtsystem bietet eine weitgehend CO2-freie Wärmeversorgung mit einem hohen Autarkiegrad. Strom- und Wärme werden vor Ort produziert. Nur ein Teil des Strombedarfs muss über das Stromnetz bezogen werden und Gas- oder Ölbezug ist als Back-up nur noch selten erforderlich. Das Konzept bietet außerdem einige Vorteile gegenüber anderen Lösungen mit Wärmepumpen.
Sole-Wasser-Wärmepumpen mit Erdbohrung lassen sich nicht überall einsetzen. In einigen Gegenden Deutschlands dürfen bestimmte Erdschichten nicht durchbohrt werden. Gleichzeitig kosten tiefe Bohrungen viel Geld und flache Erdkollektoren benötigen Platz. Luft-Wasser-Wärmepumpen sind dagegen sowohl an den kältesten Tagen beim Heizen als auch an den wärmsten Tagen beim Kühlen ineffizient.
Deshalb wurden Eisspeicher entwickelt, die verschiedene Vorteile haben: Wasser gibt beim Gefrieren große Mengen an Energie ab, das Eis lässt sich auch für die Kühlung einsetzen und sie sind preisgünstig installierbar. Ein Nachteil ist, dass sie Kapazitätsgrenzen erreichen können und dass in der Übergangszeit die Umgebungstemperatur die bessere Wärmequelle darstellen kann. Diese Nachteile werden durch die Kombination mit dem Luftabsorber ausgeglichen.
Der Strombedarf für die Wärmepumpe kann größtenteils durch die Photovoltaik-Anlage gedeckt werden, die keinen zusätzlichen Platz beansprucht. Da die Luftabsorber aber nicht unmittelbar mit den Photovoltaik-Modulen verbunden sind, gibt es nur wenig Wechselwirkung zwischen Solarmodul und Absorber. Der Absorber profitiert kaum von der Abwärme der Module, die Module werden im Gegenzug nur einen geringen leistungsfördernden Kühleffekt erhalten, sie werden kaum schneller vereisen, lassen sich aber auch nicht durch die Absorber abtauen. All die Wechselwirkungen in einem Photovoltaik-Thermie-Kombimodul (PVT) treten hier nicht oder nur sehr reduziert auf. Dafür sind Luftabsorber aber auch nutzbar, wenn die Sonne nicht scheint und in der Nacht.
Durch Kunststoffabsorber für viele Dächer geeignet
Die Grenzen des Einsatzes findet eine Photovoltaik-Wärme-Kombination dort, wo die Traglast der Dächer begrenzt ist, wie in der Sanierung. Hier biete Kraftwerk Solutions ein besonders leichtes System mit Kunststoffabsorbern und geringeren Querschnitten an, so Viessmann. Es habe im Gegensatz zur früheren Lösung mit Aluminiumabsorbern deutlich an Last eingespart.
Das Gewicht liegt jetzt bei 25 bis 30 Kilogramm pro Quadratmeter. Weiteres Gewicht kommt hinzu, wenn je nach Wärmebedarfsplanung Absorber doppellagig installiert werden müssen. Ebenfalls auf dem Dach befinden sich Anbindeleitungen, Sensorik und Übergabestationen. Kraftdach zielt dabei auf ein möglichst standardisiertes und einfach zu installierendes System, um Projekte mit geringem Personalaufwand umzusetzen.
Ein weiteres wichtiges Alleinstellungsmerkmal sei die Anlagensteuerung, die in den Verantwortungsbereich des Wärmepumpenherstellers Viessmann fällt. Hier ist zum einen das Quellenmanagement wichtig. Das System muss stets die energetisch günstigere Quelle nutzen. „Jedes zusätzliche Grad Quellentemperatur erhöht die Effizienz um 2,5 Prozent“, sagt Heiko Ludemann, Produktmanager bei Viessmann. Gleichzeitig darf der Eisspeicher seine Kapazitätsgrenze nicht zu früh erreichen.
Um zu verhindern, dass sich das System zu früh „herunterschaukelt“, werde der Eisspeicher in der Regel nicht vor Januar als Wärmequelle genutzt. An wärmeren Wintertagen kann er zwar über die Wärmepumpe regeneriert werden. Ziel ist es aber, ihn zum Ende der kältesten Periode vollständig durchzufrieren. Der Eisblock werde dann wiederum geschont, um im Sommer als effektiver Kältespeicher die Kühlung zu unterstützen.
Interesse ist groß
Das Interesse am Konzept des Kraftdachs ist nach Aussage von Arnold Berens sehr groß. „Häufig interessieren sich auch Eigenheimbesitzer dafür, weil sie Erdbohrungen vermeiden wollen und genügend Platz auf ihren Dächern haben“, sagt er. Sein Unternehmen konzentriert sich allerdings auf größere Gewerbekunden und würde es dem Handwerk überlassen, Projekte für Privatleute zu bauen.
Einer der Großkunden, die ein Kraftdach umgesetzt haben, ist der Flughafen Köln-Bonn. Die Anlage, realisiert von Metternich Haustechnik, befindet sich auf dem Dach des neuen DHL-Express-Logistikzentrums, das im November 2019 eröffnet wurde. Darunter liegen 12.000 Quadratmeter Frachthalle und 3.000 Quadratmeter Bürofläche, die im Winter mit Wärme versorgt und im Sommer kühl gehalten werden. Die Photovoltaik-Anlage, die trotz der Lüftungsanlagen, Lichtkuppeln und Rohrleitungen Platz fand, hat eine Leistung von 300 Kilowattpeak. Der dazugehörige Eisspeicher hat ein Fassungsvermögen von 1,3 Millionen Litern. Im Wasserbecken sind 18 Kilometer Absorberleitungen verlegt.
Seit die Kraftdachanlage im Sommer 2018 in den Probebetrieb gegangen ist, hat es zwei Jahre gedauert, bis alles fertig optimiert und alle Arbeiten abgeschlossen waren, erläutert Josef Farwick, Leiter Energieerzeugung und Messstellenbetrieb beim Airport Köln-Bonn. In der ursprünglichen Planung sollte die Anlage nur die Logistikhalle versorgen und stellt dafür 575 Kilowattstunden erneuerbar erzeugte Wärme und 425 Kilowattstunden Kälte bereit. Da sie im Sommer bei der Kühlung des Gebäudes aber auch viel Abwärme produzierte, ist sie nachträglich doch noch an das airport-eigene Fernwärmenetz angeschlossen worden und speist überschüssige Wärme dort ein. Im Gegensatz zum Erdgas- oder Heizölbezug fallen für den Energieeinsatz nun nur noch nachts Stromkosten an.
KfW-40-Standard erreichbar
Gebäude mit Kraftdach können leicht den KfW-40-Standard oder besser erreichen, sagt Heiko Ludemann. Sie ließen sich sogar nach Nachhaltigkeitsstandards mit Gold oder Platin zertifizieren. Das System sei ideal für Gebäude mit Wärme- und Kühlbedarf. Es ist in der Anschaffung nach Kalkulationen der Unternehmen 10 bis 15 Prozent teurer als herkömmliche Wärmepumpen-Heizsysteme. Dafür erhalte man sehr planbare und niedrige Betriebskosten für 20 Jahre. Die Amortisation sei innerhalb von acht Jahren erreichbar. Inzwischen seien bereits mehr als 100 Kraftdächer im Einsatz. Je nach Dachgröße sei es nur selten nötig, noch eine weitere Back-up-Heizungslösung zu installieren. Die Stromautarkie der bisher umgesetzten Projekte lag bei 60 bis 80 Prozent.
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